Einleitung

Endlich im Ziel nach 1.111 Kilometern und mehr als 8.000 Höhenmetern. Meine Zeit: 54 Stunden und 29 Minuten. Nonstop. Ich bin Michael Büttner, und das ist meine Geschichte, meine Geschichte vom ersten Handicap‐Radsportler, der das Race Across Germany erfolgreich absolviert hat. In Weltrekordzeit!

Bevor ich in meiner Erzählung an den Start gehe, möchte ich „danke‟ sagen. Danke an mein Team, meine Frau Regina und an KNAUS, die mir als Mobilitätspartner einen SKY WAVE 650 MF zur Verfügung gestellt haben. Ohne die Unterstützung meiner Familie und Partner hätte ich mein Ziel nie erreicht. Tausend Dank!

Das Race Across Germany

Es ist wieder soweit, das RAG (Race Across Germany) ist zurück. Das ultralange Radrennen führt 1.111 Kilometer von Flensburg nach Garmisch‐Partenkirchen. Schon vor dem Start weiß ich ganz genau: Es wird bei diesem Rennen für mich kein Mittelmaß geben. Entweder ich bewege mich im roten oder grünen Bereich. Nach einem Schlaganfall habe ich vor 15 Jahren zum Radsport gefunden und zähle seither zu einem der Topfahrer im Ultrabereich weltweit. Mittelmaß ist also ohnehin nicht mein Ding, Handicap hin oder her. Nachdem ich 2017 bei meinem ersten RAG (damals unsupported, also ohne Begleitteam!) bei Kilometer 665 schwer gestürzt war und ausgeschieden bin, soll es diesmal ganz anders laufen. Diesmal werde ich dieses Rennen in Knie zwingen! Meine Ziele für mein zweites RAG sind also ganz klar: von Anfang an alles von meinem Körper fordern, zu „finishen‟ und vielleicht den Weltrekord in Distanz und Zeit als Handicapper mit CP 8-Behinderung.

„Ich brauche all meinen Mut, um mich anzumelden, meinen inneren Schweinehund immer und immer wieder zu überwinden, tausende Kilometer um tausende Kilometer.“

Michael Büttner

Ich wweiß, dieses Rennen wird versuchen, mich zu bezwingen. Meine Muskulatur, meine Moral, meine Motivation. Es nimmt sich dafür 1.111 Kilometer lang Zeit. Aber ich werde dagegen halten. Bis zum letzten Zentimeter!

Normal ist es das fatal, wenn man bei einem Ultradistanzrennen mit voller Power anfängt, aber ich habe in acht Monaten und 16.000 Trainingskilometern alles getestet und meinem Körper genau an diese Grenze geführt. Meine Motivation als Motor, meine mentale Stärke als Antrieb.

Nach meinem Schlaganfall hatte ich natürlich auch in den offiziellen Behinderten‐Radsport DBS geschnuppert, um irgendwann als Paralympics‐Athlet antreten zu können. Aber erfüllt hat mich das nicht. Es ist die Ultraszene, in der ich der Welt meine Fähigkeiten richtig zeigen kann. Nur auf Ultrastrecken findet meine Seele das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist. Ich brauche all meinen Mut, um mich anzumelden, meinen inneren Schweinehund immer und immer wieder zu überwinden, tausende Kilometer um tausende Kilometer. Bei Tag und bei Nacht, und das mehrmals hintereinander ohne Schlaf. Ich brauche die Überwindung, den Schmerz, die Entbehrung. Das Gefühl meinen Traum selbst verwirklichen zu können, egal wie hoch die Widerstände sein können. Herr über meinen Körper zu sein, nachdem ich bei meinem Schlaganfall alle Kontrolle verloren hatte. Diese Leistung abrufen zu können, macht mich stolz, lebendig – und mental unschlagbar.

Der Start

Zurück nach Flensburg. Es ist der 29. Juni, morgens um 8:05 Uhr. Noch drei Minuten, dann heißt es „Go, Micha, go!‟. Ich hab mich vor dem Race so sehr selbst unter Druck gesetzt, wie ich das noch nie getan habe. Aber nachdem mich 2017 ein Sturz das Rennen gekostet hat, will ich in diesem Jahr einfach keine Niederlage zulassen. Zweieinhalb Tage Vollgas, ohne Schlaf, 212.550 Kurbelumdrehungen. Und die Erste mache ich genau jetzt.

Mein Plan sah vor, an der ersten TS (Timestation) nach etwa elf bis zwölfeinhalb Stunden zu sein. Ich schlug dort um 17:01 Uhr auf, also nach nicht einmal neun Stunden. 245 Kilometer volle Power vom Start weg, wie angekündigt. Die dreieinhalb Stunden Vorsprung wollte ich natürlich in der ersten Nacht bei kühlen Graden noch ausbauen, denn es würde die Zeit kommen, in der ich Pausen brauche.

Mein Mindset war glasklar: mich selbst jagen, bis ich mich nicht mehr jagen kann. Micha gegen das RAG, Micha gegen die Uhr, Micha gegen den unnachgiebigen Asphalt. Fast schon selbstzerstörerisch war diese Herangehensweise am Anfang eines solchen Races, aber ich wollte das bewusst so.

Die zweite TS vor den Toren des Harzes lies ich um 2:26 Uhr und nach 465 Kilometern hinter mir. Mein Zeitpolster war auf gut fünfeinhalb Stunden angewachsen. So langsam wurde es still um mich mitten in der Nacht – und bei Temperaturen um die neun Grad empfindlich kühl. Kein Geräusch um mich rum, außer das Surren meiner Kette und das brummen vom SKY WAVE ein paar hundert Meter hinter mir.

Die Halbzeit

Jetzt visierte ich die TS 3 Berka Werra an. Das bedeutete, der Harz und das härteste Teilstück des RAG ist liegt hinter mir. 605 Kilometer. Halbzeit um 11:09 Uhr, bei brütend heißen 30 Grad. Meine Vorgabe sagte mir, dass ich spätestens um 15:30 Uhr an der dritten TS eintreffen musste, um eine Chance auf eine Ankunft in Garmisch-Partenkirchen zu haben. Mein Zeitpolster war also etwas geschrumpft, aber ich hatte im Harz weniger Zeit verloren, als befürchtet.

Doch auch wenn ich gut in der Zeit lag, ging es mir mittlerweile richtig schlecht. Meine Augen wurden immer kleiner auf der vielbefahrenen B196. Irgendwann zogen mich meine Frau und das Team aus Sicherheitsgründen einfach aus dem Verkehr. Ich war eine Gefahr für die Straße geworden – und für meine eigene Sicherheit. 20 Minuten Powernap sollten das wieder ändern, mehr habe ich mir nicht gestattet.

Ich kam wie verwandelt zurück auf die Strecke. Bei brutaler Hitze ging es jetzt Richtung Kitzingen in ca. 125 Kilometern Entfernung. Zwei meiner direkten Konkurrenten in meiner Altersklasse waren schon ausgeschieden und ich biss die Zähne zusammen. Kitzingen hat sein eigenes Namensschild für dieses RAG: „Scharfrichter‟. Wer es bis hierher schafft, kommt auch am Ziel an, heißt es. Und ich hielt durch, obwohl jetzt jedes Steinchen, jeder kleine Hügel eine Tortur waren – und doch gleichzeitig auch Futter für meine verbissene Motivation!

Der Tiefpunkt

Kitzingen, der „Scharfrichter‟, machte seinem Namen leider alle Ehre. Ich verlor viel Zeit weil ich meine Navi nicht richtig eingestellt hatte. Und mit meiner Geduld war es auch vorbei. Aus Frust warf ich mein Rad in den Graben und wollte aufgeben. Ich war am Ende, mental und körperlich. Aber meine Frau und mein Team schafften es, mich wieder auf die Spur zu bringen – vorerst!

Irgendwo bei Ansbach kam ich an einen Berg, der nicht enden wollte. Es war mitten in der Nacht, ich wusste nicht mehr, wo der Anstieg angefangen hatte, und ich konnte auch keinen Gipfel in der Dunkelheit erkennen. Vor mir: Nichts, pechschwarzes Nichts. Und in mir ging es rund. Nach 850 Kilometern im Sattel und nur 20 Minuten Schlaf war ich verzweifelt, es nicht mehr zu schaffen. Ich hatte das Gefühl, nur noch im Kreis zu fahren – dabei waren es Schlangenlinien, in denen ich über den Asphalt schlingerte. Mein Tiefpunkt war erreicht. Aus Frust griff ich meine Crew an, spuckte Gift und Galle. Und bekam, was ich verdient hatte – und was ich so dringend brauchte: einen verbalen Tritt in den Hintern. Alle wollten unbedingt nach Garmisch-Partenkirchen. Es lag an mir, die Sache nicht zu vergeigen!

„Ohne den SKY WAVE wäre dieses Projekt gescheitert und meine Top Platzierung unmöglich möglich gewesen!“

Michael Büttner

Nach dieser Kopfwäsche konnte es weitergehen, bis ich mir in Mauren an der fünften TS endlich eine kleine Pause gönnen durfte. Die zweite Nacht war fast vorüber, es dämmerte schon, als ich für ein paar Momente die Augen im SKY WAVE schließen konnte. Eine Stunde später war der alte Micha wieder da. Es ging weiter Richtung Kilometer 1000 und der sechsten TS, die ich um kurz nach zehn erreichte. Trotz der schrecklichen Nacht lag ich noch immer gut in der Zeit und hatte nur noch „läppische“ 95 Kilometer vor mir.

Der Endspurt

Und das waren die schönsten knapp 100 Kilometer, die ich je auf meinem Rennrad gefahren bin. Ich genoss diese vier Stunden so sehr! Mein Weltmeistertrikot um die Schultern, ein Calippo-Eis in der Hand und ein Grinsen im Gesicht. Vor Freude kullerten mir die Tränen übers Gesicht, als ich alleine Richtung Ziel weiter rollte. Ich stand so kurz vor meinem Triumph und war ganz Stolz auf mich und vor allem auf meine geniale Crew. Sie waren so toll zu mir, obwohl ich gelegentlich mal einen Tritt in den Allerwertesten gebraucht hatte.

Ohne sie hätte ich wohl das Handtuch geworfen. Bei so einem Rennen benötigt man Feingefühl und Nehmerqualitäten und muss leider auch mal einstecken, obwohl es gar keinen Grund gibt. Das alles konnten die Drei!

Vor lauter Euphorie hätte ich mich fast noch einmal verfahren, aber ein Einheimischer wies mir den Weg zum Ziel, dem weltbekannten Skisprungstadion in Garmisch‐Partenkirchen. Es war genau 14:37 Uhr, als ich in der Arena durch das Zieltor radelte. Innerlich zählte ich die Kurbelbewegungen runter, drei, zwei, eins, null! Und dann ließ ich mich hineinrollen, hinein in den frisch gemähten „Garten der Freude“.

Irgendwann bei der Siegerehrung konnte ich dann meine Gedanken wieder fassen. Ich hatte meine Ziele erreicht und noch dazu gleich zwei Weltrekorde aufgestellt, für Distanz und Zeit. Meine Beine schmerzten, meine Hände zitterten. Aber ich hatte es geschafft. Als erster Handicaper weltweit habe ich das Race Across Germany beendet. 212.550 Kurbelumdrehungen. 1.111 Kilometer. 54 Stunden und 29 Minuten. Rekord. So muss sich Leben anfühlen, dachte ich und blickte durch meine blinzelnden Wimpern in den wolkenlosen Himmel. Der Schweiß brannte noch in meinen Augen. Oder waren es doch die Freudentränen?

Der SKY WAVE

Mein treuer Begleiter, der SKY WAVE von KNAUS

Der SKY WAVE 650 MF war unser Begleitfahrzeug beim Ultralangstreckenrennen, dem Race Across Germany 2018. Er diente mir und meiner Crew als Rückzugsort beim Verpflegen und Ruhen, und als Oase wenn es für mich besonders schwierig wurde. Ohne ihn wäre dieses Projekt gescheitert und meine Top Platzierung unmöglich möglich gewesen! In diesem Sinne: Vielen Dank an KNAUS, dafür, dass ihr mitgeholfen habt, diesen Traum wahr werden zu lassen!

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Michael Büttner erlitt 1998 einen Schlaganfall. Seither lebt er mit Handicap. Damit „Körper und Geist keine Zeit mehr haben, mir die Hölle heiß zu machen“, hat er sich ganz dem Extremradsport verschrieben. Als Ultralangstrecken-Athlet ist Michael Büttner mehrfacher Weltmeister und Weltrekordhalter. Um auch anderen Menschen etwas von seiner Motivation abzugeben, erzählt er seine Gesichte eindrucksvoll in einem eigenen Blog.

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Weltrekord mit Handicap: Michael Büttner beim extremsten Radrennen Deutschlands
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Weltrekord mit Handicap: Michael Büttner beim extremsten Radrennen Deutschlands
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Extramradsportler mit Handicap Michael Büttner bezwingt mit Unterstützung von KNAUS das Race Across Germany, das härteste Radrennen Deutschlands, in Rekordzeit.
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